Mittwoch, 8. August 2007

Wie weniger mehr sein kann

Im Juni 2005 berichten die Zeitungen über die Forderung des ZDH-Präsidenten Otto Kentzler, Krankeitstage mit Urlaubstagen zu verrechnen. Er begründet dies mit "Urlaub müsse erwirtschaftet werden". Dieser Vorschlag wurde einhellig von der Politik scharf kritisiert und abgelehnt. Hinter diesem Vorschlag verstecke sich die Absicht, die Arbeitzeiten zu verlängern, so der Kommentar von Ver.di-Chef Frank Bsirske.
--> Hier tauchen die Begriffe Urlaubstage, Krankheit und Arbeitzeitverlängerung gemeinsam auf.

Fast zwei Jahre später fordert der DIHK-Hauptgeschäftsführer Wansleben die Arbeitnehmer auf, in ihrem Urlaub Weiterbildungskurse zu besuchen. In den Artikeln zum Thema wird darüber berichtet, dass die Arbeitnehmer in Deutschland die meisten Urlaubs- und Feiertage hätten. Daneben gehöre Deutschland was die Jahresarbeitszeit betrifft zu den Schlusslichtern in der EU.
--> Zum einen ist hier die Verkettung von Urlaubs- und Feiertagen mit geringer Jahresarbeitszeit erstaunlich, zum anderen passen die Begründung von Otto Kentzler und die Kritik von Frank Bsirske von vor zwei Jahren (siehe ersten Absatz "Krankeitstage mit Urlaubstagen verrechnen") dazu ziemlich gut.

==> Insgesamt haben wir also eine besondere Verquickung von Urlaubs-, Feier- und Krankeitstagen bei einer niedrigen Jahresarbeitszeit


Zum Punkt Krankheitstage
In diesem Jahr melden die Zeitungen ein neues Rekordtief bei den Krankenständen der Arbeitnehmer seit der Wiedervereinigung und das trotz boomender Konjunktur.

Das klingt erstmal gut, aber wenn Menschen trotz Krankheit zur Arbeit gehen, sei es aus Angst um ihren Arbeitsplatz oder stärkeren Druck in der Arbeitswelt, dann liest sich die vermeintliche Erfolgsmeldung anders. Frappierend dabei: die Krankmeldungen wegen psychischer Störungen nehmen in den letzten Jahren zu.

Zum Kernpunkt
Die eigentliche Kritik richtet sich an die geringe Arbeitszeit. Was aber besagt der reine Vergleich der Arbeitszeiten? Nichts, ausser dass jemand mehr oder weniger arbeitet. Das ist ein quantitativer und nicht qualitativer Vergleich! Nehmen wir ein Beispiel zur Hand, um das Problem zu verdeutlichen:

Die Person A hat ca. 2 Stunden, Person B hingegen hat knapp 5 Stunden gearbeitet. Also hat Person B 3 Stunden mehr als Person A geleistet. Wenn Sie jetzt aber erfahren, dass es sich dabei um einen 40km Lauf handelt, bei demPerson A ein Profiläufer und Person B ein Amateurläufer ist, dann bewerten Sie die Bedeutung der Zeiten anders. Denn Person A hat nur 2 Stunden für die gleiche "Arbeit" gebraucht, für die Person B 5 Stunden benötigte. Person A war damit produktiver, genauer ausgedrückt: seine Arbeitsproduktivität pro Stunde ist mehr als doppelt so hoch!

Stellen Sie sich jetzt vor, der Läufer A wäre ein Arbeitnehmer und er würde annährend 5 Stunden "laufen", da freut sich doch die Wirtschaft trotz des "hausgemachten Fachkräftemangels".

Für Deutschland bedeutet das, dass es nicht nur bei den Urlaubs- und Feiertagen ganz oben liegt, sondern auch bei der Arbeitsproduktivität je geleisteter Arbeitsstunde!


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Links

[1] Netzzeitung: Handwerk will bei Krankheit Urlaub streichen
[2] Tagesschau: Erkältungen kein Grund zu Hause zu bleiben
[3] Spiegel-Online: Arbeitnehmer sollen sich im Urlaub weiterbilden
[4] Welt-Online: Immer weniger Deutsche melden sich krank
[5] süddeutsche.de: Krank? Ach, wo!
[6] FOCUS-Online: "Potenzial im eigenen Land ausschöpfen"
[7] Eurostat, OECD: Arbeitsproduktivität je geleistete Arbeitsstunde - BIP in KKS je geleisteter Arbeitsstunde im Vergleich zu EU-15 (EU15 = 100) (Stand 2005)

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